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Proprietäre Software in der ICT-Berufsausbildung ist wie Thermomix in der Gastronomie

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Lukas Truniger
vor 32 Tagen
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Einleitung

Nehmen wir an, wir würden in unseren Berufsschulen in der Gastronomie ausschliesslich mit dem Thermomix arbeiten. Was würde das für die Ausbildung bedeuten? Würden die Schülerinnen und Schüler noch die Grundlagen des Kochens lernen? Würden sie Kompetenzen entwickeln, die sie in Grossküchen oder in der gehobenen Gastronomie weiterbringen? Könnten Sie nach der Ausbildung auch in Betrieben arbeiten, welche den Thermomix nicht einsetzen?
Das Monopol von Thermomix würde die Gastronomiebranche massiv einschränken. Es würde sich auch irgendwann die Frage stellen, warum man noch in ein Restaurant gehen sollte, wenn man die gleichen Gerichte auch zu Hause mit dem Thermomix zubereiten kann.

Proprietäre Software in der ICT-Berufsausbildung

In der ICT-Berufsausbildung ist die Situation ähnlich. Viele Schulen setzen auf proprietäre Software. Die Schülerinnen und Schüler lernen fast ausschliesslich mit dieser Software zu arbeiten. „Sie sei alternativlos“, wird oft argumentiert. Alternativen gibt es, man muss allerdings sagen, diese sind längst nicht so bequem wie die proprietäre Software. Aber ist nicht genau das der Punkt? Das ist wie mit dem Thermomix. Es ist bequem, aber das ist doch nicht das Gleiche wie selber kochen. Offene Software würde gerade in der ICT-Berufsausbildung die Möglichkeit bieten, die Grundlagen zu lernen. Eine Lösung entspricht nicht ganz den Anforderungen? Nun, OSS bietet die Möglichkeit, die Software anzupassen. Die Schülerinnen und Schüler könnten lernen, wie Software funktioniert und wie sie angepasst werden kann. Es würde den heimischen Markt stärken, weil man Kompetenzen schafft, selbst etwas zu entwickeln oder eben eine bereits bewährte FOSS anzupassen.

Aber der Markt verlangt doch nach Fachkräften, die mit der Software X umgehen können?

Wenn wir in unseren Schulen nur proprietäre Software verwenden, bildet die öffentliche Hand Fachkräfte für die grossen Softwarekonzerne aus. Wir finanzieren also die Ausbildung von Fachkräften für Unternehmen, die ihre Gewinne ins Ausland transferieren. Was wir also sparen durch die für Schulen kostenlosen Lizenzen, verlieren wir durch die fehlende Wertschöpfung im Inland. Hinzu kommt, dass wir so nur Kompetenzen für gewisse Software schaffen. Bisher hat mir jeder bestätigt: Wenn man aus der Open-Source-Welt kommt, ist es einfacher, sich in eine andere Software einzuarbeiten. Umgekehrt ist es aber viel schwieriger. Das Argument, man müsse das lehren, was im Markt gefragt ist, ist also nicht unbedingt haltbar. Der Markt wird auch durch die Kompetenzen der Fachkräfte geformt. Wenn wir also nur Fachkräfte ausbilden, die mit proprietärer Software umgehen können, wird der Markt auch nur diese Software verlangen.

Massgeschneiderte Lösungen für bestimmte Anwendungsfälle

Grosse Softwarekonzerne wollen einem auch oft weismachen, deren Software könne für alles eingesetzt werden. Bestes Beispiel ist Excel: Excel ist ein tolles Tool, um Daten zu analysieren und zu visualisieren. Aber es ist nicht das beste Tool, um Daten zu speichern. Dennoch wird es oft als Datenbank verwendet. Mit Open Source lässt sich eine Lösung finden, die genau auf den Anwendungsfall passt. Es gibt viele kleine Tools, die genau für einen Anwendungsfall entwickelt wurden. Diese Tools lassen sich oft auch kombinieren. Da die Software offen ist, kann man sie auch nach Belieben anpassen. Das benötigt allerdings entsprechendes Know-How (bsp. einer Programmiersprache oder einer Datenbank). Dieses Know-How lässt sich dann aber in viele andere Bereiche übertragen während das Excel Know-How nur für Excel gilt.

Beispiele mit Mehrwert

Ich möchte hier noch zwei Beispiele nennen, welche mir in meiner Laufbahn einen erheblichen Mehrwert gebracht haben.

LaTeX

Im ersten Lehrjahr hatte ich einen Berufsschullehrer, welcher mich auf diese Software aufmerksam gemacht hat. Die Lernkurve ist sehr steil, aber der Mehrwert ist enorm. In der Informatik ist das Dokumentieren unheimlich wichtig und mit LaTeX ist das sehr einfach. Ich habe in meiner ganzen Ausbildung nie wieder Word verwendet, um Dokumente zu schreiben (ausser ich musste es aufgrund von Vorgaben anderer Lehrkräfte). Das Lernen von LaTeX hat mir auch geholfen mich in anderen Markup-Sprachen wie Markdown oder HTML schneller zurechtzufinden.

Nextcloud

Als M365-Ersatz nutze ich Nextcloud. So habe ich meine Daten immer bei mir, kann sie auch mit anderen teilen und ich habe die volle Kontrolle über meine Daten. Nextcloud bietet auch eine Kalender- und Kontakte-App an. So habe ich alles an einem Ort. Dazu kommen Apps aus der Community wie z.B. ein Kochbuch; wir verwenden nämlich keinen Thermomix in der Küche zuhause. 😉

Fazit

Ich will keine proprietäre Software verteufeln. Es gibt sicherlich Anwendungsfälle, in denen diese gut geeignet ist. Aber in der Berufsbildung sollte der Fokus auf offener Software und offenen Standards liegen und nicht auf proprietären Lösungen. Das Verständnis von Standards und Abläufen ist zentral, nicht die Bedienung einer Software. Es ist wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler die Grundlagen lernen und nicht zu sehr auf eine Software oder einen Anbieter fixiert sind.
Statt Monopole zu stärken sollten wir Unabhängigkeit fördern und die Schülerinnen und Schüler dazu ermutigen, eigene Lösungen zu entwickeln. Bildung und Weiterbildung auf Basis von proprietärer Software – auch wenn sie weit verbreitet ist – kann nicht die Lösung sein.
Die Alternativlosigkeit wird meiner Meinung nach durch fehlende Kompetenzen geschaffen und nicht durch fehlende Alternativen. Und Kompetenzen lassen sich nur durch die Auseinandersetzung mit der Materie erlangen, was wiederum nur durch offene Software möglich ist.

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Autor: Lukas Truniger

Informatik Quereinsteiger und Open Source Enthusiast. "Die Informatik ist unendlich vielseitig und man lernt niemals aus, ich kann mir keinen spannenderen Beruf vorstellen"

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